„Tauscht euch aus!“ – die Gründer von ELDERTECH im Interview

Zwei der Absolventen unseres Executive MBA sind unter die Gründer gegangen: Unter dem Namen ELDERTECH werden André Fiebig und Artur Janiszek zukünftig digitale Lösungen für pflegende Angehörige anbieten – mehr wollen wir hier gar nicht vorwegnehmen und die beiden stattdessen selbst zu Wort kommen lassen. Am 14. Januar 2021 haben Sie ab 16 Uhr zudem die Gelegenheit ELDERTECH und weitere Startups beim DemoDay des DigitalHUB Aachen e.V. zu erleben. Das Event bildet den Abschluss der vierten Runde des DigitalHUB Incubator, der den teilnehmenden Startups nicht nur spannende Coachings und Trainings bietet, sondern auch wertvolle Kontakte liefert.

Autor: RWTH Business School
Veröffentlicht: 11.01.2021
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Die Gründer von ELDERTECH im Interview

Stellt euch doch einmal kurz vor

André Fiebig: Mein Name ist André Fiebig, 35 Jahre alt und vom beruflichen Background her Ingenieur. Artur und ich haben uns 2018 im Executive MBA-Programm an der RWTH Business School kennengelernt und schnell gemerkt, dass wir bei vielen Themen, ähnliche Herangehensweisen und Qualitätsansprüche haben.

Artur Janiszek: Ich bin Artur Janiszek, mit 32 Jahren etwas jünger als mein werter Mitgründer und habe mich in der Vergangenheit vor dem MBA mit visueller Kommunikation, Marketing und Unternehmensberatung beschäftigt. Zum Abschluss des Studiums hat sich in der Masterarbeit dann gezeigt, dass André und ich auch über einen längeren Zeitraum und unter Druck gut zusammenarbeiten können. Trotz – oder gerade wegen – des vollkommen unterschiedlichen (akademischen) Backgrounds sind wir in der Lage uns in vielen Fragestellungen zu ergänzen.

Was genau verbirgt sich hinter ELDERTECH?

André Fiebig: Nach aktuellen Einschätzungen gibt es etwa 3 Millionen Menschen, die sich neben ihrer beruflichen Tätigkeit um einen Angehörigen kümmern und pflegen. Sie bilden sozusagen den größten Pflegedienst Deutschlands – und man geht davon aus, dass die „Dunkelziffer“ noch wesentlich größer ist. Mit unserem Startup ELDERTECH wollen wir eine Entlastung für all diese pflegenden Angehörigen schaffen, indem wir die große Welt der Smart Home und Smart Home Care Devices mit altersgerechter Videokommunikation auf einer innovativen Plattform zusammenbringen.

Artur Janiszek: Bestehende Lösungen am Markt ergänzen den Alltag der Gepflegten meist nur isoliert, indem sie für einen konkreten Pflegefall eine Lösung anbieten, bieten aber keine Schnittstelle zu benachbarten Systemen. Das führt zu Funktions- und Organisationsredundanzen für Pflegende und Gepflegte – denn wir wissen, dass Pflege vielmehr ist als eine konkrete Unterstützung. Genau hier wollen wir ansetzen.

André Fiebig: Intuition und Nutzbarkeit sind dabei unsere höchsten Prämissen. Wir wissen, dass unsere Plattform keinen Erfolg haben wird, wenn sie nicht gleichermaßen von Gepflegten, Pflegenden und Partnern akzeptiert wird. Durch eine ganze Reihe an Gesprächen und der kontinuierlichen Begleitung von Experten aus dem Pflege- und Gesundheitsbereich hoffen wir einen richtigen Weg zu beschreiten.

Wie und wann ist die Idee entstanden und woher wusstet ihr, dass es sich lohnt sie weiter zu verfolgen?

Artur Janiszek: Die Idee entstand durch persönliche Betroffenheit. In meiner Familie gab es 2017 eine Demenzdiagnose, dadurch habe ich mich erstmalig auf den Weg gemacht und nach wirklich nutzbaren Hilfestellungen für den Alltag gesucht, die gleichermaßen die Gepflegte in ihrer Eigenständigkeit unterstützen und für Pflegende einen Mehrwert bieten. Letzten Endes hat sich am Markt leider bisher ausschließlich die archaische Technik der Hausnotruf-Systeme bewährt. Die Übernahme (teils horrender Kosten) durch die Kranken- und Pflegekassen für veraltete Systeme und Pflegehilfsmittel, welche die Phase der ambulanten Pflege verlängern, verhindert aber den ökonomischen Innovationsdruck auf Hersteller an einem freien Markt.

André Fiebig: Artur und ich haben während des Studiums einige potentielle Gründungsideen ausgetauscht, die wir zum Teil mit den Methoden aus dem Executive MBA zu Konzepten verfeinert haben – ELDERTECH ist eine davon, die wir seit dem Frühjahr (vor Corona!) über die Konzeptphase hinausentwickeln.

Betrachtet man ganz nüchtern den fehlenden Innovationsdruck, den demografischen Wandel und analog die Anpassungsgeschwindigkeit unseres Gesundheits- und Pflegesystems, wird schnell klar, dass sich etwas ändern muss. Wir sehen die Möglichkeit mit ELDERTECH einen wirklichen Mehrwert zu schaffen – für die Gesellschaft, für Gepflegte und Pflegende.

War der Ausbruch der Pandemie für euch eine Chance oder ein Hindernis?

Artur Janiszek: Die weltweite Pandemie hat an vielen Stellen Veränderungen hervorgerufen, die vorher in ihrer Intensität oder Transformationsgeschwindigkeit nicht denkbar gewesen wären – im Alltag der Menschen, im beruflichen Kontext und auch ganz allgemein in der Gesellschaft. Obwohl die Entscheidung für ELDERTECH schon vor dem Bekanntwerden der ersten Covid-19 Fälle in Europa feststand, so hat die Situation vielen Menschen die Grenzen des sozialen Umgangs aufgezeigt – plötzlich war ein persönlicher Verwandtenbesuch häufig nicht mehr möglich – auch nicht „nur kurz nach Oma zu schauen“. Und genau hier setzt ELDERTECH an: Wir ermöglichen es pflegenden Angehörigen, sich aus der Ferne zu kümmern. Die Pandemie hat dabei nicht nur diesen Schmerz präzisiert, sondern viel mehr die Akzeptanz für digitale Lösungen für alle Beteiligten geschaffen – und uns damit einen Teil des Weges geebnet.

André Fiebig: Ganz genau, in erster Linie sehen wir die Pandemie, bei allen negativen Folgen für die Gesellschaft und jeden einzelnen, der davon gesundheitlich oder wirtschaftlich betroffen ist, als Chance, weil nun die Themen rund um Digitalisierung viel mehr diskutiert und vorangetrieben werden.

Was sind aktuell eure größten Herausforderungen?

Artur Janiszek: Wir haben uns als Team eine sehr ambitionierte Timeline auferlegt. Bisher können wir diesen Kurs halten – auch wenn das ab und an zu Nachtschichten und durchgearbeiteten Wochenenden führt. Da wir im Team aber alle an den gemeinsamen Erfolg unseres Vorhabens glauben, sind diese Phasen zwar anstrengend, aber auch unfassbar motivierend! Zudem arbeiten wir nicht alleine für uns, sondern sind teils auf Rückmeldungen angewiesen. So ist eine weitere Herausforderung die Verlässlichkeit, Verbindlichkeit und Kommunikation von anderen – ein Learning, dass wir bereits früh machen mussten.

André Fiebig: Stichwort Partner: Unsere ELDERTECH-Lösung basiert auf dem Schaffen einer Plattform. Das bedeutet, dass wir nicht wie in einem linearen Geschäftsmodell Kunden bedienen müssen, sondern durch die Vielseitigkeit einer Plattform Attraktivität für Nutzer, Kunden und Partner erzeugen müssen. Die Suche nach Partnern ist aktuell unsere größte Herausforderung.

Wie geht es weiter bzw. was sind eure nächsten Schritte?

Artur Janiszek: Strategisch arbeiten wir gerade sehr aktiv an der finalen Definition unseres Konzepts und des Geschäftsmodels. Mit Unterstützung der RWTH Innovation werden wir den Antrag auf das EXIST-Gründerstipendium zum Jahresbeginn 2021 einreichen. Die Tools, die wir durch unseren MBA kennenlernen bzw. verfeinern konnten, sind dabei ein wirklicher Mehrwert, da sie strukturelle Leitplanken bilden; ähnlich einer gemeinsamen Sprache, die nicht nur wir, sondern auch Startup-Coaches, Corporates und Investoren sprechen.

André Fiebig: Durch unsere Aufstellung im Team, sind wir in der glücklichen Lage parallel zur EXIST-Antragsstellung auch die Entwicklung der App und der Plattform weiterzutreiben, um zeitnah die Closed-Beta mit unseren Partnern, Experten und ersten Kunden fahren zu können. Im besten Fall versetzt uns das in die Lage zu April 2021 vollständige Marktreife zu erlangen.

Inwiefern war der Abschluss des Executive MBA für die Gründung förderlich?

André Fiebig: Der Executive MBA hat an vielen Stellen Türen geöffnet – persönlich, methodisch oder im Netzwerk. Selbstverständlich geht es im EMBA auch um die Vermittlung von Wissen, sowie geeigneten Tools und Methoden. Ganz wesentlich für den Erfolg des EMBA ist der direkte Kontakt zu und der Austausch mit hochkarätigen Dozierenden, die man als „gewöhnlicher Student“ selten so intensiv involviert erlebt – vollkommen gleich, ob es dabei um Innovationsmanagement (Prof. Piller), Strategie (Prof. Salge), Businessmodellinnovation (Prof. Antons & Dr. Lüttgens) oder auch Entrepreneurship (Prof. Brettel) geht. Ich kann persönlich sagen, dass der EMBA meinen Horizont erweitert hat und mich auch dazu bewogen hat, als Gründer aktiv zu werden und nicht nur Ideen zu haben.

Artur Janiszek: Ich würde mich da voll und ganz anschließen. Der Executive MBA verändert die persönliche Denkweise in Bezug auf das Denken in Geschäftsmodellen und das strategische Ausrichten von Innovation. Ein weiterer Effekt, der uns jetzt einige Male bereits geholfen hat, ist das starke Netzwerk in der eigenen Kohorte, aber auch mit Alumni und Alumnae der vergangenen fünfzehn Jahrgänge. Teilweise verliefen Gespräche mit Menschen, die man nur kurz auf einem Event getroffen hat, so als ob man sich bereits seit Jahren kennt – dank des EMBA.

Würdet ihr die Aachener Region für Startups weiterempfehlen und wenn ja, warum?

Artur Janiszek: Als Gründer findet man in Aachen ein fast perfektes Ökosystem vor. Für Gründungen mit einem digitalen Background gibt es den digitalHUB Aachen. e.V. mit super-motivierten Coaches und Verbindungen zum Mittelstand im wohl schönsten Co-Working-Space Deutschlands. Für Gründungen aus der RWTH unterstützt euch die RWTH Innovation mit Wissen und einem großartigen Netzwerk zu Investoren und Business Angels. Wenn man noch Zweifel an seiner Gründungsidee hat oder einfach nicht sicher ist, ob Gründen wirklich das richtige ist, dann sind Veranstaltungen von AC.E Aachener Entrepreneurship Team oder des Collective Incubator viel wert, denn hier erlebt man wirklichen Gründergeist.

Als echter „Öcher“ bin ich an dieser Stelle auch bestimmt nicht objektiv!

André Fiebig: In Zeiten von Home-Office und Remote-Arbeitsplätzen ist die Ortswahl vielleicht zweitrangig. Für unser Team stand dennoch recht schnell fest, dass auch hier unsere Gründung erfolgen soll. Ich habe Aachen durch mein EMBA-Studium kennengelernt und eine enge Verbundenheit zwischen der Stadt und der RWTH Aachen University erlebt. Unser universitäres Netzwerk an der RWTH und die Unterstützung, die wir dadurch erfahren durften, ist nur einer der Gründe, die Aachen zu einem „Place-to-be“ für Gründer machen. Was die Größe angeht ist Aachen genau richtig: Nicht zu klein, so dass man an Grenzen von Infrastruktur und Förderung stoßen könnte. Nicht zu groß, so dass man kurze Wege und schnellen Kontakt zu den richtigen Ansprechpartnern findet.

Artur Janiszek: Nicht zu vergessen ist natürlich auch die gelebte Internationalität. Mir würde kein Ort in Europa einfallen, wo grenzüberschreitendes Leben und Arbeiten so „normal“ ist. Mit Maastricht, Lüttich und Eupen sind wir umringt von inspirierenden Partnerstädten mit vielen jungen Menschen, Innovationskraft und Gründergeist.

An dieser Stelle noch herzlichen Glückwunsch zur Aufnahme in den vierten Batch des digitalHUB Aachen Incubator Program.

Welche Unterstützung erwartet euch hier?

André Fiebig: Vielen Dank! Neben intensivem Coaching mit Experten aus verschiedenen Bereichen, Matchmaking und Pitchtraining erwartet uns ein Boost für den Reifegrad unseres Geschäftsmodells: Durch strukturiertes Erarbeiten verschiedener Themen – abgestimmt mit den Inhalten des Ideation Programms an der RWTH Innovation – bekommen wir noch offene Punkte systematisch und skalierbar gelöst und legen die Weichen für die zukünftige Ausrichtung des Unternehmens.

Artur Janiszek: Wertvoll ist das Incubator Programm des digitalHUB Aachen für junge Startups natürlich auch durch die mediale Reichweite, die man erfährt – weit über die Grenzen der Region Aachen hinaus!

Welche Tipps würdet ihr (angehenden) Gründerinnen und Gründern mit auf den Weg geben?

Artur Janiszek: Sprecht mit anderen, pitcht eure Idee, tauscht euch aus und habt Vertrauen – unabhängig ob im Team, mit möglichen Kunden, mit Experten, in Gründergruppen oder auch Personen, die nichts mit eurer Gründungsidee zu tun haben. Warum? Die Eindrücke und Meinungen sind mit Gold aufzuwiegen, denn Sie versetzen euch in die Lage, eure Idee (und/oder euer Konzept) weiter zu verfeinern. Das Gefühl, ein Gesprächspartner könnte sich mit eurer Idee „aus dem Staub machen“ und selbst umsetzen, ist verständlich und war auch für mich ein hintergründiger Gedanke in den ersten Gesprächen, den ich lernen musste abzulegen. Führt euch einfach vor Augen, dass eine Idee alleine nichts wert ist, solange sie nicht umgesetzt wurde – und zum Zeitpunkt eines Austauschs mit anderen seid ihr einer Umsetzung direkt einen Schritt näher.

(Jeder Tag ist ein Hoffen auf Morgen und niemand weiß was morgen passiert.)

André Fiebig: Sucht euch Mitgründer, Gleichgesinnte bzw. ein Team. Ihr gewinnt unfassbar viel an Flexibilität und Geschwindigkeit durch Aufgabenteilung – viel wesentlicher ist jedoch, dass jeder Mensch unterschiedliche Kompetenzen und Themen hat, in denen er Experte ist und womit er sich gerne beschäftigt. Nicht umsonst sind interdisziplinäre, diverse Teams die erfolgreichsten Gründergeschichten!

Artur Janiszek: Wir stehen natürlich am Anfang eines spannenden Weges. Ob sich unsere Erfahrungen als Gründer als richtig erweisen, wird sich noch zeigen müssen.

Vielen Dank für das Gespräch und viel Erfolg weiterhin!

modernes gebaeude

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